Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.
Im Jahre 1927 beginnt die entschiedenste Verfolgung so genannten abergläubischer Berufe und Örtlichkeiten, die China je gekannt hatte.
Eine Säkularisierungsbewegung noch nicht dagewesen in Ausmaßes verstaatlichte Tempel und deren Eigentum.
Häufig wurden sie in Schulen umgewandelt, Schlossbuden und Büros von Wahrsagern,
die zum Ergreifen anderer, fortschrittlicher Berufe gezwungen werden sollten
und verboten übrigens auch die Ausübung der traditionellen chinesischen Medizin.
Diese Kampagne gegen den Aberglauben führt in ihrer Rhetorik, Zielsetzung und polizeilichen Maßnahmen bruchlos
zu den späteren Kampagnen der Volksrepublik China, auch wenn ihr die Instrumente des totalitären Staates zur letztendlichen Durchsetzung fehlten.
Im Zusammenhang des Vorgehens gegen den Aberglauben erfuhr China auch das erste Mal eine machtgestützte Definition von Glaube und Aberglaube,
weil die Religionen in das engere Blickfeld rückten und auch ihnen eine Definition im Sinne der Moderne zuteil werden sollte.
Aufgrund der Tatsache, dass zahlreiche, einflussreiche Mitglieder der Regierungspartei Guomindang protestantischen Denominationen angehörten,
die von vielen als Agenturen der Modernisierung begriffen wurden, wurde das Christentum von diesen Neudefinitionen nicht nur ausgenommen,
sondern setzte sich sogar erfolgreich in den Besitz des Monopols über das Verständnis der genannten Begriffe Religion, Glaube und Aberglaube.
Nun über die Weise, wie andere chinesische Religionen, etwa Buddhismus und Taoismus, sich nach dem Bilde des christlichen Definitionsmonopols dogmatisch und organisatorisch neu formierten,
ist ausführlich berichtet worden, etwa Rebecca Nettlestop und Eric Hammerström.
Ich möchte Ihnen heute dagegen eine kurze Einführung in die Verteidigung der mit dem vielleicht schwerwiegendsten Verdikt des Aberglaubens belasteten mantischen Künste des traditionellen China geben
und über die Anwälte einer verlorenen Sache berichten.
Ich folge damit dem Motto des Lukarn, Causa Victrix Dis Plaquit Sed Victor Catoni, die siegreiche Sache gefiel den Göttern, doch die besiegte dem Cato.
Und Sie können mich heute als eine Art Cato Minor betrachten, allerdings einen, der für die besiegte Sache nicht unbedingt partei nehmen muss, um dennoch Gefallen an ihr zu finden.
Doch bevor ich zu dem Thema des heutigen Abends komme, möchte ich Sie gerne zu einem Gedankenexperiment einladen.
Stellen Sie sich vor, im 18. Jahrhundert hätte das chinesische Imperium nach der Eroberung von Tibet 1723 und der Eroberung von Xinjiang 1759
zunehmend weiter nach Westen ausgegriffen, eventuell England den Besitz Indiens streitig gemacht und zur gleichen Zeit vielleicht eine Flotte ausgerüstet, die den Westen erfolgreich bedrohte.
Der Westen hätte unter dem Druck dieser Bedrohung seine bisherige Organisation des Wissens in Verwaltung, Wirtschaft, aber auch in Kosmologie, schließlich auch in Belangen der Lebenswelt,
widerstrebend und mit Mühen, aber notgedrungen zugunsten eines chinesischen Kanons aufgeben müssen.
Chinas zivilisatorische Mission hätte weiter als nur bis nach Tibet und Turkistan gereicht.
Sie können selbstverständlich einwenden, dass ich es mit der Kontingenz hier ein wenig zu weit treibe und etwas mehr teleologisches Denken uns zu dem Schluss bringen müsste,
dass es durchaus Faktoren gab, die die europäische globale Expansion zwingend erscheinen lassen, während die chinesische Expansion sich auf Ostasien beschränkte und in Zentralasien innehielt.
Ungeachtet solcher gewiss vernünftiger Einwände gegen diese vielleicht zuspielerische Umkehr postkolonialer Annahmen, möchte ich mein Experiment doch kurz weiterführen.
Die westlichen Staaten hätten lernen müssen, was es bedeutet, ein Teil des Tributsystems, das heißt des internationalen Systems des chinesischen Reiches, zu sein.
Ihre Eliten hätten, um Erfolg im Kern dieses Reiches zu erzielen, sich langsam an Weltanschauung und Lebenswelt der chinesischen Tradition assimilieren müssen.
Um nur ein paar Möglichkeiten zu nennen, im Bereich der Weltanschauung wäre das Studium der chinesischen kanonischen Werke für die Staatsprüfung obligatorisch geworden.
Im Bereich der Lebenswelt wären Ahnenkult, Polygamie und gebundene Füße für Frauen verbindlich.
Vor allem hätten die westlichen Sprachen einen umfangreichen Wortschatz an Neologismen entwickeln müssen, um dem neuen System der Organisation des Wissens gerecht zu werden.
Und das hätte weit über Begriffe wie Dao, Yin und Yang und Feng Shui und solche Sachen hinaus gereicht.
Traditionelle westliche Wissenschaft und bildende Kunst wären unter Handwerk rubriziert worden und vermutlich wären zu diesem Expertenwissen auch Techniken gebraucht.
Weitere Techniken. Hier meine ich vor allem die mantischen Künste, die traditionellen Wissenschaften Chinas, les sciences traditionelles de la Chine, wie sie Mark Kalinowski mit einer nicht ganz unumstrittenen Formel bezeichnet hat.
Der Wahrsager würde große Teile des Bedürfnisses nach Seelsorge abdecken. Wir würden Almanache konsultieren, in denen günstige Tage verheiraten, Reisen und Heilungen verzeichnet sind.
Und in schwierigen Situationen das Orakel des Buches der Wandlung befragen. Und das Christentum würde möglicherweise als eine der zahllosen Kulte der Volksreligion überleben, sofern es die Sakralesphäre der den Sohn des Himmels umgebenden Rituale und die Weltanschauung, die den Staatskult umgab, nicht zu empfindlich attackierte.
Das ist nun ein etwas schwindelerregendes Gedankenexperiment, das ich hier nicht weiterführen möchte, weil all dies mit umgekehrten Vorzeichen der chinesischen Welt zustieß.
Die radikale Transformation der Organisation des Wissens, die durch den Einbruch und die Dominanz westlichen Wissens notwendige Umgestaltung der Bildung bewirkten in kürzester Zeit den Abschied von der traditionellen Weltanschauung.
Noch unter der kaiserlichen Regierung wurde das traditionelle Prüfungssystem abgeschafft. Die Bildung erhielt ein vollständig neues Curriculum mit neuen Disziplinen und Fächern und der Staat sollte eine Verfassung erhalten.
Die chinesische Welt befiehl die Ahnung von etwas noch nie zuvor Dagewesenem. Li Hongzhang, Sie haben so ein Handout, wo diese Namen alle draufstehen.
Einer der mächtigsten Staatsmänner der späten Kaiserzeit spricht von, ich zitiere, der größten Krise seit 3000 Jahren.
Und Tseung Jit Soe, der Sohn des Bezwingers der Taiping-Rebellion und einer der ersten Gesandten der Qing-Regierung in westlicher Hauptstätte, nennt dies gar, ich zitiere, eine Lage, die wir seit 5000 Jahren nicht kannten.
Gerade die chronologischen Exzesse in diesen Äußerungen machen deutlich, wie dramatisch die Situation empfinden wurde.
Die Umgestaltung der Lebenswelt ließ allerdings ein wenig länger auf sich warten. Betrachten wir einige der bedeutendsten Reformer der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, so wird offenbar, dass sie die neue, an der teilweise übernahmewestlichen Erkenntnisse orientierten Weltanschauung auf der einen und die traditionellen Praktiken der Lebenswelt auf der anderen Seite nicht im Widerspruch zueinander empfanden.
Fung Wei Fö, der mit seinen Reformideen die Bereiche der Finanz- und Wirtschaft des Militärs und der Erziehung einer Radikalchur, einer gewissen Radikalchur unterziehen wollte, und dem das Motto, mit der Technik der Ausländer den Einfluss der Ausländer unter Kontrolle halten zugeschrieben wird, hatte lebhaftes Interesse an der Geomantik.
Zhang Zhidong, der ebenfalls für eine partielle Einführung westlicher Kenntnisse eintrat, widmete einem Handbuch der Wahrsagung mit Domino-Steinen die Titelkaligraphie.
Zhang Guanying, der im Unterschied zu den vorgenannten kein Beamter, sondern Kaufmann war, hatte als Komprador in englischen Firmen, so dann in einem eigenständigen Unternehmen und schließlich als Geheimdienstchef der Provinz Canton, wo er Informationen über die französischen Umtriebe in Vietnam sammelte, ausführliche Erfahrungen über den Westen zusammengetragen, die er in sein Buch, Worte der Warnung in einer Zeit der Fülle oder der scheinbaren Fülle, sein Geheimdienst,
eingehen ließ, das zahlreiche Reformvorschläge enthielt. Zhang war jedoch auch ein Adept daoistischer Magie und Schicksalsberechnung und förderte etliche Großmeister mit bedeutenden Summen.
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
01:04:02 Min
Aufnahmedatum
2011-12-14
Hochgeladen am
2011-12-15 15:04:36
Sprache
de-DE